Vor drei Jahren dominierten noch die Gitarren auf ihrem Debütalbum, aber mittlerweile hat sich bei Zinn nicht nur das musikalische Universum verändert. Das Wiener Trio hat für ihr neues Album „Chthuluzän“ nicht nur ihre Experimentierfreudigkeit mit ins Studio gebracht, sondern auch die Ideen der US-Wissenschaftlerin Donna Haraway. Das Ergebnis ist eine Musik, die sowohl den Kopf als auch den Bauch anspricht. „Wir wollten etwas Größeres machen“, betonte Lilian Kaufmann. Und das ist definitiv gelungen. Auf „Chthuluzän“ findet man klassische Instrumente ebenso wie die traditionelle Punk-Ausstattung aus Gitarre, Bass und Schlagzeug – und vor allem viele Synthesizer. Es sind trägen Soundschlieren, die sich im positiven Sinne beispielsweise im Titelsong und Albumopener über ein gemächlich schepperndes Schlagzeug legen, während Sängerin Margarete Wagenhofer von einer neuen Welt erzählt. Genau darum geht es, im Sinne von Haraway: das Chthuluzän als Ära der Verschränkung aller Lebewesen, in der sich die unterschiedlichsten Fäden zu immer neuen Knotenpunkten verbinden.
Die theoretischen Konzepte und Ansichten von Haraway waren für die Freundinnen – neben Wagenhofer und Kaufmann komplettiert Leonie Schlager die Gruppe – schon lange wichtige Gesprächsthemen. Als sie schließlich intensiver zum Chthuluzän recherchierte, „tat sich eine neue Welt auf“, erinnerte sich Wagenhofer im Gespräch mit APA. So entstand die Idee eines Konzeptalbums. „Als großer Pink-Floyd-Fan war ich von der Idee begeistert“, schmunzelte Kaufmann. „Vielleicht wird es nicht komplett durchgehalten, aber es gibt definitiv diesen roten Faden.“
Fäden sind ein zentrales Element: „Es geht im Chthuluzän um Verbindungen. Alte Konzepte werden aufgegriffen, aber auch verändert“, erklärte Wagenhofer. „Am Ende entsteht etwas Neues, das wieder aufgelöst wird.“ Gerade deshalb passte die musikalische Neuausrichtung gut, denn der Synthesizer sei „nicht geradlinig. Man kann viele Dinge zusammenbringen und experimentieren.“ Dabei verlieren Zinn jedoch nie den Song aus den Augen, wie beispielsweise das leichtfüßige „Limoncello“ oder die schwelgerische „Dramaturgie eines Nachmittags“ (gemeinsam mit International Music) zeigen.
Die Musikerinnen wussten schnell, dass große Themen auch große Umsetzungen erfordern. „Es braucht eine andere musikalische Herangehensweise, um diese Dinge emotional zu vermitteln“, stimmte Kaufmann zu. „Ein einfacher Bumm-Tschak-Beat reicht da nicht aus“, lachte die Schlagzeugerin, die auch in der Punkband Schapka aktiv ist. Dabei haben ihnen verschiedene Mitmusikerinnen und Mitmusiker, aber auch Produzent Wolfgang Möstl geholfen. „Er ist immer bereit für Experimente, deshalb macht es so viel Spaß mit ihm. Das sind einfach gute Bereicherungen.“
Inhaltlich fühlen sich Zinn verantwortlich, über wichtige Themen zu sprechen. „Wir können keine Liebeslieder mehr schreiben“, sagte Wagenhofer. „Jetzt sind andere Themen wichtig, was uns ein großes Bedürfnis war: Klimakrise, Kapitalismus, Patriarchat.“ Die Musikerinnen lehnen den Pessimismus jedoch ab. „Wir müssen Donna Haraway danken, sie hat uns aus einem nihilistischen und zynischen Weltbild geholt. Wir dachten, diese Welt geht den Bach runter und wir können nichts tun, da wir auf eine Erderwärmung von drei Grad zusteuern. Aber sie sagt: Nein, das darf nicht so sein. Wir dürfen nicht den Kopf in den Sand stecken. Wir sind die letzte Generation, die etwas tun kann“, erklärte Wagenhofer. „Also ist es Zeit, etwas zu tun und darüber zu sprechen.“